Reicht jede Beleidigung für eine Kündigung?
Nicht alles, was der Angesprochene als Beleidigung empfindet, genügt für eine verhaltensbedingte Kündigung. Die Aussage muss zum einen ehrverletzend sein und eine gewisse Schwelle überschreiten. In manchen Branchen herrscht beispielsweise ein rauerer Umgangston, sodass unter Umständen bestimmte Ausdrücke noch nicht als diffamierend betrachtet werden.
Beispiel: Eine Kündigung wegen Beleidigung ist unwirksam, wenn lediglich der Gruß eines Vorgesetzten verweigert wurde.
Zum anderen geht nicht jede Beleidigung den Arbeitgeber etwas an. Es muss ein Zusammenhang zum Arbeitsplatz bestehen. Das Verhalten in der Freizeit, bei dem der Arbeitnehmer nicht einmal als Mitarbeiter des Arbeitgebers erkennbar ist, ist für eine Kündigung grundsätzlich irrelevant.
Bei der Bestimmung, ob eine Beleidigung vorliegt, muss zudem besonders die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers beachtet werden. So ist es nicht verboten, die Zustände im Betrieb in sachlicher Form zu kritisieren. Die Meinungsfreiheit findet jedoch insbesondere bei der bewussten Behauptung von unwahren Tatsachen und der bewussten Schmähung ihre Grenzen. Auch die Einkleidung der an sich sachlichen Kritik in beleidigende Sprache kann mitunter zur Kündigung führen.
Beispiel: Der Arbeitnehmer sagt zum Arbeitgeber, er habe „keinen Arsch in der Hose“. Die Aussage suggeriert, dass es dem Arbeitgeber an jeglichem Rückgrat fehle. Zwar mag mit der Aussage auch sachliche Kritik verbunden sein. Dennoch handelt es sich um eine Beleidigung (LAG Hessen, Urteil vom 10.11.2006 - 3 Sa 1495/05).
Das Bundesarbeitsgericht hält des Weiteren die Kündigung wegen Beleidigung für unwirksam, wenn auf die Vertraulichkeit der Aussage vertraut wurde.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer erzählt seinem langjährigen Arbeitskollegen in einem privaten Gespräch, ihr gemeinsamer Vorgesetzter sei „in Machenschaften verwickelt“ und habe sich nur vorgeblich krankgemeldet.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 10.12.2009 - 2 AZR 534/08) verneinte in diesem Fall die Wirksamkeit einer Kündigung, weil der Arbeitnehmer darauf vertrauen durfte, dass sein Arbeitskollege die Aussage nicht weitergeben würde.
Aber Achtung! Die Grenzen sind hier fließend. In einem ähnlichen Fall entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 14.03.2019 - 17 Sa 52/18), dass die Kündigung wirksam sei. Dort schrieb eine neue Mitarbeiterin ihrer Kollegin, dass ihr gemeinsamer Chef wegen Vergewaltigung verurteilt worden sei.
Auch bei der Beleidigung eines Kunden kommt es auf die Umstände an. So hängt die Wirksamkeit der Kündigung auch davon ab, ob der Arbeitnehmer wusste, dass es sich um einen Kunden handelt.
Beispiel: Dem Arbeitnehmer wurde gekündigt, weil er einen Kunden als „Arschloch“ bezeichnet hatte. Die Kündigung war unwirksam, weil der Arbeitnehmer nicht wusste, dass es sich um einen Kunden handelte und er diese Verhaltensweise erstmalig zeigte (ähnlich LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.04.2010 - 4 Sa 474/09).
Außerdem wird die Beleidigung eines Kunden eine fristlose Kündigung dann nicht rechtfertigen können, wenn der Kunde von der Beleidigung nichts erfährt, weil sie nur gegenüber Kollegen ausgesprochen wurde.
Vorherige Abmahnung wegen Beleidigung notwendig?
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei einem Fehlverhalten vor einer Kündigung abmahnen. Die Abmahnung hat die Funktion, den Arbeitnehmer zu einem besseren Verhalten in der Zukunft zu bewegen. Hierfür sind unter anderem ernsthafte Konsequenzen anzukündigen (also regelmäßig die Kündigung), sollte der Arbeitnehmer das unerwünschte Verhalten wiederholen. Die Kündigung soll nur das letzte Mittel sein. Dies gilt sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung.
Beispiel: Der Arbeitnehmer wurde von seinem Vorgesetzten nach einem angespannten Personalgespräch mit den Worten „raus hier“ aus dessen Büro geschmissen. In einer Raucherpause bezeichnete er ihn als „Psychopathen“ und meinte, dieser „müsse eingesperrt werden“. Dabei bezog er sich auf das vorangegangene Gespräch. Trotz der ehrverletzenden Aussage hielt das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.07.2014 - 5 Sa 55/14) die fristlose Kündigung für unwirksam. Es hätte eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Die Aussage sei als emotionale Entgleisung nach dem Personalgespräch zu werten und könne den Betriebsfrieden nicht nachhaltig stören, da die Aussagen unter drei vertrauten Kollegen gefallen seien.
Beispiel: Der Arbeitnehmer bezeichnete seine Kollegen bei Facebook als „Speckrollen“ und „Klugscheißer“. Das Gericht hielt die fristlose Kündigung für unwirksam. Es wäre zuvor eine Abmahnung notwendig gewesen. Der Arbeitnehmer hatte nämlich eine Mitteilung erhalten, dass Kollegen ihn bei seinem Arbeitgeber denunziert und behauptet hatten, er halte sich trotz Arbeitsunfähigkeit in Cafés auf (ArbG Duisburg, Urteil vom 26.09.2012 - 5 Ca 949/12).
Allerdings ist eine Abmahnung bei einem besonders schwerwiegenden Fehlverhalten ausnahmsweise entbehrlich. Das ist unter anderem der Fall, wenn dem Arbeitnehmer bei der Beleidigung bewusst sein musste, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt.
Beispiel: Ein Arbeitnehmerbezeichnet seinen Vorgesetzten vor der Belegschaft als „Nazi“.
Letztlich muss jedoch immer im Einzelfall geprüft werden, ob der Arbeitnehmer abgemahnt werden muss oder nicht. Sollte eine Kündigung ohne Abmahnung ausgesprochen worden sein, bestehen häufig gute Chancen, erfolgreich gegen die Kündigung vorzugehen.
Fristgerechte oder fristlose Kündigung wegen Beleidigung?
Neben einer ordentlichen (fristgerechten) Kündigung kann eine Beleidigung eine außerordentliche (fristlose) Kündigung zur Folge haben. Im Unterschied zur ordentlichen Kündigung besteht bei der fristlosen Kündigung keine Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis endet also von einem Tag auf den anderen. Die fristlose Kündigung stellt daher die wesentlich einschneidendere Maßnahme für den Arbeitnehmer dar.
Aus diesem Grund sind die Anforderungen an eine fristlose Kündigung höher. Ob eine fristlose Kündigung in Betracht kommt, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
Als grobe Beleidigungen, die zur Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung geeignet sind, wurden von den Gerichten zum Beispiel folgende Äußerungen verstanden:
- „arrogantes Schwein“ oder „ein paar in die Fresse hauen“ (LAG Köln, Urteil vom 18.04.2006 - Sa 1623/05)
- das „Götz-Zitat“ (LAG Köln, Urteil vom 18.06.2010 - 10 Sa 307/10)
- „soziale Arschlöcher“ (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.01.2017 - 3 Sa 244/16)
- „Menschenschinder“ oder „Ausbeuter“ (LAG Hamm, Urteil vom 10.10.2012 - 3 Sa 644/12)
- rassistische Beleidigungen oder direkte Assoziationen mit dem Nationalsozialismus
Weitere Umstände, die dazu führen können, dass nur eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt, sind zum Beispiel:
- der betriebliche und branchenübliche Umgangston
- die psychische Verfassung des Arbeitnehmers
- die Gesprächssituation (zum Beispiel die Anwesenheit von Dritten oder die Ernsthaftigkeit der beleidigenden Äußerung)
- Ort und Zeitpunkt des Geschehens
So ist eine Beleidigung weniger schwerwiegend, wenn sie nur in einem kleinen, vertrauten Kollegenkreis ausgesprochen wird, anstatt in einem größeren Kollegenkreis, der Öffentlichkeit oder bei Facebook.
Weiter muss berücksichtigt werden, ob der Betroffene das Verhalten des Arbeitnehmers provoziert hat.
Beispiel: Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 11.05.2001 - 88 Ca 5714/01) hielt die Kündigung eines Arbeitnehmers für unwirksam, der seinen Chef als „Arschloch“ bezeichnet hatte. Er war in finanzielle Bedrängnis geraten, weil der Arbeitgeber bereits seit mehreren Monaten im Verzug mit der Lohnzahlung war.
Kündigung wegen Beleidigung bei Facebook und Co.
Auch Beleidigungen bei Facebook und in anderen sozialen Netzwerken können unter Umständen zur Kündigung führen.
Entscheidend kommt es allerdings darauf an, dass ein Bezug zum Arbeitsplatz hergestellt werden kann. In aller Regel muss das Opfer der Beleidigung ein Betriebsangehöriger oder ein Kunde sein. Die Beleidigung Außenstehender kommt allenfalls in Betracht, wenn der Arbeitnehmer als Mitarbeiter des Arbeitgebers erkennbar und die Beleidigung besonders gravierend ist (in der Regel nur bei schweren strafbaren Beleidigungen). Selbst dann bestehen häufig noch gute Chancen auf erfolgreiche Abwehr der Kündigung.
Bei Beleidigungen auf Facebook etc. ist außerdem zu beachten, dass diese aufgrund der Bedenkzeit des Arbeitnehmers und ihrer Dauerhaftigkeit eine besondere Schwere erlangen. Dadurch, dass sie erst eingetippt werden müssen, hatte der Arbeitnehmer ausreichend Zeit, darüber nachzudenken, ob und was er schreibt. Außerdem können die Äußerungen häufig immer wieder ohne Probleme nachgesehen werden, sofern sie nicht gelöscht werden.
Schließlich kommt es auch darauf an, welche und wie viele Personen die Beleidigung sehen können. Ist sie nur an einen beschränkten Freundeskreis gerichtet, greift eine Kündigung häufig zu weit.
Abfindung nach Kündigung wegen Beleidigung?
Eine Kündigung wegen Beleidigung berechtigt nicht automatisch zu einer Abfindung. In vielen Fällen ist die Beweislage für den Arbeitgeber jedoch schwierig oder es kann nicht eindeutig vorhergesagt werden, wie das Gericht entscheiden wird.
Möchte der Arbeitgeber sich dennoch unbedingt vom Arbeitnehmer trennen, kann dies zu einem gerichtlichen Vergleich führen. Der Arbeitnehmer akzeptiert darin die Kündigung. Im Gegenzug erhält er eine „Abfindung“. Wie hoch sie ausfällt, hängt meist davon ab, wie lange der Arbeitnehmer im Betrieb tätig war und welche Chancen seine Klage gegen die Kündigung hat. Es kommt hier entscheidend auf das Verhandlungsgeschick an. Die Vertretung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht ist ratsam.