Inhaltsverzeichnis
- 1. Kann Rohstoffmangel zur Kündigung führen?
- 2. Wann ist die Kündigung wegen Rohstoffmangels gerechtfertigt?
- 3. Kann Kurzarbeit die Kündigung ausschließen?
- 4. Muss mir eine andere Tätigkeit angeboten werden?
- 5. Kann der Arbeitgeber unter mehreren Arbeitnehmern frei wählen?
- 6. Kann der Arbeitgeber auch fristlos kündigen?
- 7. Erhalte ich eine Abfindung?
1. Kann Rohstoffmangel zur Kündigung führen?
Wenn der Arbeitgeber die für die Produktion erforderlichen Betriebsmittel wie etwa Halbleiterchips nicht mehr auf dem Markt beschaffen kann, muss er darauf reagieren. Er wird also durch außerhalb seines Unternehmens bestehende Probleme in Form des Rohstoffmangels zum Handeln gezwungen, wenn er seinen Betrieb nicht gefährden will. Trifft er die Entscheidung, darauf mit Personalreduzierung zu reagieren, handelt es sich um einen betriebsbedingten Kündigungsgrund. Er kann unter Umständen eine Kündigung rechtfertigen.
2. Wann ist die Kündigung wegen Rohstoffmangels gerechtfertigt?
Bei einer solchen Kündigung verbindet der Arbeitgeber seine Entscheidung zur Entlassung mit dem externen, außerhalb des Betriebes aufgetretenen Rohstoffmangel. Damit sind die für eine betriebsbedingte Kündigung erforderliche fehlende Beschäftigungsmöglichkeit und der externe Grund fest miteinander verknüpft.
Ob der Kündigungsgrund Chipmangel existiert, lässt sich anhand objektiver Kriterien überprüfen. Gleiches gilt für die Frage, ob er sich unmittelbar und zwingend auf den Arbeitsanfall und den Bedarf an Arbeitskräften auswirkt und ob nur die Arbeitnehmer gekündigt wurden, die an die durch den Chipmangel bedingte weggefallene Beschäftigungsmöglichkeit gebunden waren. Deshalb muss der Arbeitgeber zu diesen Kriterien im Kündigungsschutzprozess vortragen und sie beweisen.
Schlagwortartige Formulierungen genügen dabei nicht. Die Kriterien sind durch die Gerichte voll überprüfbar. Es ist also erforderlich, dass der Arbeitgeber seine Entscheidung schlüssig und in den Gründen nachvollziehbar darlegt und sie tatsächlich umsetzt. Gelingt ihm dies – wie häufig - nicht, ist die Kündigung unwirksam.
3. Kann Kurzarbeit die Kündigung ausschließen?
Das bloße Vorliegen betrieblicher Erfordernisse reicht nicht für eine betriebsbedingte Kündigung. Vielmehr müssen die betrieblichen Erfordernisse auch "dringend" sein. Es dürfen keine anderen, gleichwertigen Mittel auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet möglich sein, die denselben unternehmerischen Erfolg erzielen würden und sich gegenüber der Kündigung als milder herausstellen, also den Arbeitsplatz erhalten würden. Die Kündigung muss wegen der betrieblichen Lage also unvermeidlich sein (ultima-ratio-Prinzip).
Tatsächlich können der Abbau von Überstunden oder die Einführung von Kurzarbeit einer Kündigung als mildere Maßnahmen entgegenstehen. Dies muss aber nicht zwangsläufig so sein. Dies zeigt sich deutlich an der Kurzarbeit, die nur dann sinnvoll ist, wenn der Rohstoffmangel und damit die reduzierte Arbeitsmenge nur vorübergehend andauert.
Ob dies der Fall ist, hat der Arbeitgeber im Prozess vorzutragen. Er muss technische, organisatorische oder wirtschaftliche Gründe plausibel benennen, die gegen die milderen Mittel sprechen. Bedenkt man, dass es Prognosen gibt, wonach der Mangel an Halbleitern mindestens bis Mitte 2022 anhält, ist der Einwand nur vorübergehenden Rohstoffmangels jedenfalls zweifelhaft.
4. Muss mir eine andere Tätigkeit angeboten werden?
Existiert ein alternativer Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweisen und ihm die Stelle anbieten. Sonst ist die Kündigung unwirksam. Daran ändert sich auch nichts, wenn zuvor noch dem Arbeitgeber zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen erforderlich sind.
Nicht anbieten muss der Arbeitgeber jedoch hierarchisch höhere Arbeitsplätze, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigung keine Beförderung schuldet.
Außerdem muss er keine anderweitig besetzte Stelle kündigen, um sie anschließend dem Arbeitnehmer anbieten zu können, der vom Rohstoffmangel betroffen ist. Anders ist es dagegen, wenn dieser Arbeitsplatz bis zum Ende des gekündigten Arbeitsverhältnisses bzw. unmittelbar danach ohnehin frei wird.
Beispiel: Der Arbeitnehmer soll wegen Chipmangels zum 31.08.2021 gekündigt werden. Am 01.09.2021 tritt ein anderer Arbeitnehmer in den Altersrentenbezug ein, dessen Qualifikation der zu kündigende Arbeitnehmer auch aufweist. Hier muss der Arbeitgeber den freiwerdenden Arbeitsplatz anbieten.
Anders ist es auch, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer beschäftigt. Deren Arbeitsplätze gelten rechtlich als frei und müssen angeboten werden.
5. Kann der Arbeitgeber unter mehreren Arbeitnehmern frei wählen?
Führt der Chipmangel dazu, dass nur einige Arbeitnehmer gekündigt werden, stellt sich die Frage, wen der Arbeitgeber auswählt. Er muss dann eine zutreffende Sozialauswahl unter den potentiell Betroffenen durchführen. Sonst ist die Kündigung unwirksam.
Dazu muss der Arbeitgeber zunächst die vergleichbaren Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs ermitteln und unter ihnen diejenigen auswählen, die am wenigsten schutzbedürftig sind. Dazu sucht er die Arbeitnehmer heraus, die rechtlich und tatsächlich jeweils die Funktion des anderen übernehmen können.
Diese Personengruppe muss der Arbeitgeber dann anhand der gesetzlichen Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung sozial bewerten, ohne dass ein Kriterium grundsätzlich Priorität genießt. Er muss sie nur „ausreichend“ berücksichtigen. Der Arbeitgeber hat also einen gewissen Wertungsspielraum. Dennoch unterlaufen ihm hier nicht selten Fehler.
7. Erhalte ich eine Abfindung?
Da kein gesetzlicher Anspruch auf eine Abfindung besteht, muss sie im Wege der Verhandlung durchgesetzt werden. Gerade bei betriebsbedingten Kündigungen wegen Rohstoffmangels werden wegen der hohen Hürden des Kündigungsschutzgesetzes regelmäßig Abfindungen gezahlt. Das setzt aber zunächst die Erhebung einer Kündigungsschutzklage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung voraus, um die Abfindung auszuhandeln. Dabei sollten Sie die Hilfe eines Fachanwalts für Arbeitsrecht in Anspruch nehmen.